Feine Sache
Der Blick aufs Detail
als Grundlage für gelungenes Design


Hintergrund
René Spitz
Einfachheit hat Konjunktur: Je komplexer die Zusammenhänge erscheinen und je dynamischer sie sich verändern, desto attraktiver wirkt das Einfache. Dem Design fällt für diese Wirkung eine besondere Rolle zu, denn was schon äußerlich als einfach wahrgenommen wird, impliziert auch einen unkomplizierten und angenehmen Umgang in der täglichen Handhabung.

Das ästhetisch Einfache ist aber gerade nicht das Grobe. Ganz im Gegenteil erfordert es eine zurückhaltende Gestaltung, die sich nicht mit modischen Effekten in den Vordergrund drängt. Im Kern geht es darum, dass während des Entwicklungsprozesses der Blick auf jedes Detail gerichtet wird: Feinheiten etwa beim Radius und beim Schwung der Linie, bei Proportionen und Materialstärken, die in ihrer Summe den harmonischen Gesamteindruck eines Produktes hervorrufen, ohne dass Laien explizit beschreiben könnten, wie diese Qualität eigentlich zu benennen wäre. Die spezifischen Eigenschaften werden im normalen Gebrauch nicht wahrgenommen, gerade weil sich nichts Störendes vor die praktische Anwendung schiebt.

Konzentration auf Details als Erfolgsrezept fürs Design: Das klingt reichlich banal. Aber der Teufel steckt nun einmal im Detail. Denn in der Arbeitswirklichkeit besteht genau darin die eigentliche Herausforderung, die Details allseitig und allzeit im Blick zu behalten, eben weil es so viele Gründe gibt, sie zu Nebensächlichkeiten zu degradieren. In diesem Spannungsfeld entsteht Design seit mehr als 150 Jahren: Schon bei den berühmten Entwicklungen von Thonet und AEG wurden diese Themen diskutiert, und die jeweiligen Argumente beherrschen alle Reformbewegungen, von Arts & Crafts über den Jugendstil und den Deutschen Werkbund bis zur Postmoderne.

Es ist eine besondere charakterliche Eigenschaft, wenn man in diesem Tauziehen den Fokus auf kleinste Details richten und beharrlich die Bearbeitung von Feinheiten durchsetzen kann. Design wird hier zum Unruhestifter, denn es fordert von allen Beteiligten, ihre Komfortzone zu verlassen und sich kritische Gedanken darüber zu machen, was doch im Grunde schon vorhanden ist und worüber längst gesicherte fertigungstechnische Erkenntnisse vorliegen. Doch der amerikanische Hersteller Apple hat für jedermann sichtbar vorgeführt, welches ökonomische Potential in dieser Art der gestalterischen Verfeinerung schlummert.

Mit Verfeinerung ist gerade nicht gemeint, dass ein barockes Gepräge auf ein bestehendes Objekt appliziert würde. Ganz im Gegenteil handelt es sich um das bewusste In-Form-Bringen kleiner Faktoren, die im Gebrauch unbewusst einen Qualitätsvorsprung wahrnehmbar werden lassen. Die Innovation des Designs steckt in der fokussierten Weiterentwicklung des Vorhandenen, nicht in der überbordenden Fülle des Dekors.
Der Erfolg der Apple-Geräte hat zweifellos die Sensibilität vieler Menschen für Feinheiten im Design geweckt: Wie dünn ist ein Objekt, wie sind seine Kanten geformt, welche Materialien werden dafür kombiniert, wie ausgeklügelt sind die Details, wie selbstverständlich ist das Produkt? Denn bei jedem Produkt treffen Flächen aufeinander, müssen Bedienungselemente integriert und bewegliche von feststehenden Elementen abgegrenzt werden. Immer wieder aufs Neue geht es darum, eine harmonische Gesamtwirkung zu erzielen und aus unterschiedlichen Strukturen eine stimmige Einheit zu formen. Wer es versteht, die überall auftretenden Themen in einem neuen, bis dahin unüblichen Detaillierungsgrad zu beherrschen, signalisiert technische Kompetenz und Führungsanspruch.

Beispielhaft lässt sich das bei den neuen Innenstationen von Siedle an den kleinen, leicht konisch geformten Sacklöchern ablesen, die der Front eine homogen strukturierte Oberfläche verleihen. Es zeigt sich auch an den Abständen dieser Vertiefungen zu den übrigen Frontelementen, die so gewählt sind, dass diese unmerklich ihren eigenen Raum einnehmen können. Ein drittes Beispiel ist die Entscheidung, die Gehäuseseiten nicht rechtwinklig mit der Vorder- und Rückseite zu verbinden, sondern mit einer leichten Schräge: Sie wird den meisten Menschen nicht ins Auge springen, aber sie erzeugt dennoch eine feine Eleganz des gesamten Körpers.

Detailfragen werden im Design meist dann klug gelöst, wenn die bis dahin geltenden Standards in der Fertigung neu ausgelotet und letztlich verschoben werden. Dann entsteht eine neue ästhetische Finesse, deren subtile Botschaft lautet: Dieses Produkt wurde mit größter Präzision und Sorgfalt hergestellt. Ob es sich dabei um die leichte Wölbung von Tasten handelt, die kaum sichtbar ist, sich aber beim Drücken unaufdringlich bemerkbar macht, oder um fein austarierte Spaltmaße, deren gesamte Balance nur unterschwellig gespürt wird. Die dafür notwendige Genauigkeit erfordert tiefe Kontrolle in der Herstellung, und diese Kontrolle wiederum suggeriert Sicherheit in der Anwendung. Die meisten Produkte werden in täglicher Routine benutzt, ohne dass die Aufmerksamkeit bewusst auf sie gerichtet ist. Ein sauber gestaltetes und übersichtliches Produkt, das Präzision vermittelt, signalisiert Klarheit in Momenten schneller, unbewusster Entscheidung: Der Anwender hat das gute Gefühl, dass er alles im Griff hat und die Kontrolle ausübt, ohne dass es ihn Anstrengung kostet.

Zum Autor:
Dr. René Spitz hat als Designkritiker mehr als 300 Sendungen im WDR veröffentlicht. Er lehrt Designtheorie und Internationales Design an der Rheinischen FH Köln.
 Siedle Basic
Im Entwurfsprozess wurde jedes Detail der neuen Innenstation kontinuierlich verfeinert.
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